14.06.2019, HORIZONT.NET
In Napakiak, Alaska ist kollektives Umziehen angesagt. In dem 350 Seelen-Dorf, in dem vornehmlich Yupik-Inuit leben, herrschen derzeit Rekordtemperaturen von 17 Grad Celsius. Für die Inuit kommt das einer Hitzewelle gleich. Jedoch gehen die Auswirkungen wesentlich weiter: Der Permafrostboden taut immer weiter auf und so müssen das Feuerwehrhaus, der Lebensmittelladen und ein Verwaltungsgebäude umziehen. Und die Schule ist auch nicht mehr sicher … Der auftauende Boden setzt weiteres Methan frei, was die Erwärmung weiter vorantreibt – ein Teufelskreis. Alaska ist weit weg, mag man denken.
Und doch, die Debatte hat längst den Lebensalltag fast aller Menschen global erfasst. Auch der gemäßigte, mitteleuropäische Sommer 2018 war ein über Monate dauernder Hitzerekord. Nicht der erste, aber noch nie so hautnah erlebt. Auch in Deutschland sah man verdorrte Felder, brennende Wälder. Greta Thunberg löst die weltweite Bewegung »Fridays for Future« aus, die Politik ermutigt sie und stellt sich damit selbst ein Armutszeugnis über bisherige Versäumnisse aus. Klimaforscher reden über das 2-Grad- und das 4-Grad-Szenario und welche Folgen das jeweils haben würde. McDonald's führt den Veggie Burger ein, Beyond Meat geht in den USA an die Börse und verzeichnet Kursgewinne von sagenhaften 167 Prozent in den ersten Tagen. Hamburgern aus Erbsen und Rote Beete scheinen viele Investoren offenbar eine große Zukunft zuzutrauen. Auch Industriegrößen wie Bosch, Siemens und ganz aktuell Daimler, planen konkret, bis wann sie klimaneutral produzieren wollen. Das Allianz-Ziel, bis 2050 klimaneutral zu investieren, kommt einem da fast grotesk weit in der Zukunft vor. The Future is now …
Was also heißt all das für Markenverantwortliche? Wie immer heißt es natürlich genau auf die Kundenbedürfnisse zu achten? Und diese so gut wie möglich zu erfüllen. Wenn aber der Kunde sich total widersprüchlich verhält, und die Kundenbedürfnisse geradezu tektonischen Verschiebungen unterworfen sind – was also tun mit dem nicht rationalen Wesen »Kunde«? Spüren wir nicht alle die Zeitenwende, die sich gerade weltweit in zahlreichen Branchen abspielt: Mobilität, Energie, Ernährung, Freizeit, Wohnen... überall ist nachhaltiges Wirtschaften das prägende Thema. Und zwar nicht als grüner Teil der Unternehmensstrategie, sondern als sein Kern! Trotzdem will der Konsument – bisher jedenfalls – oft nicht verzichten. Diese Grundhaltung war die Geburtsstunde von Efficient Dynamics, Blue Motion, »und den saubersten Diesel aller Zeiten« – das ließe sich endlos fortsetzen. Wir fliegen weiterhin auf die Seychellen. Und lassen uns amerikanisches Rinderfilet oder vom japanischen Kobe-Rind schmecken, weil es wohl zum Leckersten gehört, was man als Fleischliebhaber auf dem Teller haben möchte.
Wahrscheinlich werden wir allmählich jedoch Zeitzeugen des Tipping Point – des Wendepunktes – der in zahlreichen Entwicklungen zu beobachten ist. Autos werden immer weniger gekauft, sondern ge-shared. E-Bike-Absatzzahlen steigen enorm: auch die Uber-Tochter Jump, die ebikes vermietet, hat hohe Wachstumsraten, der Airbus A 320 neo verkauft sich wie warme Semmeln, weil die Triebwerke – auch dank deutscher Ingenieurkunst aus München – wesentlich weniger Kerosin verbrennen, deswegen effizienter sind, aber auch den Carbon Footprint der Airlines verbessern und das eigene Gewissen beruhigen... Aber Vorsicht ist auch hier angebracht – neueste Trends aus Schweden sprechen bereits vom »Flugscham« – gesellschaftliche Akzeptanz kann sich schnell und grundlegend ändern.
Wie also umgehen mit dem »Weiter-So« und dem gleichzeitigen »Jetzt-aber-ganz-anders und welt-schonend« – nicht nur die Umwelt, sondern auch die Menschen müssen geschützt werden, siehe Over-Tourism und die Inuit in Napakiak, Alaska.
Für den Fall, dass sich Kevin Kühnert mit seinen Thesen nicht durchsetzt, werden also auch weiterhin die Marktgesetze gelten, um Angebot und Nachfrage zu steuern. Zentrales Steuerungsinstrument im Markt ist der Preis. Hermann Simon, der Preis-Professor hat schon Generationen von Studenten und Lesern die Kunst der Preisfindung nähergebracht. Er bezeichnet den Preis als das zentrale Scharnier zwischen Angebot und Nachfrage. Kein anderes Marketinginstrument – so führt er in seinem Buch »Preisheiten« weiter aus – eignet sich besser, um den Absatz schnell und effektiv zu steuern. In Bezug auf den Preis finde ich zwei Vorurteile besonders interessant: Zum einen: Selbst Commodities wie z. B. Wasser – also komplett Austauschbares – lassen sich preislich differenzieren, damit Präferenzen schaffen und schließlich Unternehmensgewinne steigern. Zum anderen: Die Absatzmenge lässt sich durchaus auch durch höhere Preise steigern. Dies trifft zu, wenn Konsumenten einem höherpreisigen Produkt bessere Qualität unterstellen als dem billigeren Produkt. Was seinen Preis wert ist, liegt eben im Auge des Betrachters. Beide Erkenntnisse sind für die CO2-Diskussion und den Verbrauch von Ressourcen aus einer Sicht nicht uninteressant.
Beim Thema Klimawandel und CO2 und wie man klimafreundlicher wirtschaften kann, ist man daher schnell bei der Frage, wie man den Verbrauch bzw. das Ausstoßen von CO2 reduzieren kann: Mit einem Preis für CO2! Da dieser Preis für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten muss, sind wir mit einer CO2-Steuer schnell beim Staat, der EU oder gar bei einer globalen Vereinbarung zur Bepreisung von CO2. Wenn also CO2-Ausstoß preislich sanktioniert, CO2-Einsparung preislich belohnt wird, so die Logik der CO2-Steuer, dann ließe sich das Verhalten auch breiter Konsumentenschichten in Richtung klima-schonenderer Produkte und Dienstleistungen lenken. So lange Schweinfleisch allerdings günstiger ist als Obst oder Gemüse, wird eben klima-feindliches Schweinefleisch bevorzugt. Es gibt aber auch schon gute Beispiele, wie die Preissetzung für unerwünschtes Verhalten tatsächlich funktioniert: siehe Einkaufstüten aus Plastik oder Tabak. Mit der preislichen Verteuerung wurde die Nutzung durch breite Konsumentenschichten wunschgemäß zurückgedrängt.
Nur – der Preis muss stimmen. Das heißt für CO2: Er muss hoch genug sein, um Verhaltensänderung zu bewirken. Das ist ganz aktuell auch die Forderung von Joachim Wennig, Chef der Munich Re, der eine Verfünffachung der gegenwärtigen Preise von CO2 fordert, sollen die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht verfehlt werden. Die Munich Re beobachtet den Klimawandel schon seit Jahrzehnten im Rahmen ihrer Risikoanalysen mit Akribie – das ist verständlich, denn die Versicherer müssen Risiken (richtig) bepreisen.
Dass die Politik nun darüber diskutiert, ob eine CO2-Steuer das richtige Instrument ist, was entsprechenden Zertifikate kosten müssen und ob der sozialen Gerechtigkeit willen, steuerliche Entlastungen an anderer Stelle nötig sind, soll hier nicht Thema sein. Natürlich besteht die Gefahr, dass hiermit ein neuer »Klima-Soli« erhoben wird, der dann nie wieder abgeschafft wird. Dass aber der Preis auch den tatsächlichen Verbrauch von Ressourcen abbilden soll, lässt sich als Logik nicht von der Hand weisen. Ohne Preis wird der Verbrauch sozialisiert – Verursachung und Folge komplett entkoppelt. Ich will nicht dem »Bäume pflanzen für einen Kasten Bier« das Wort reden – das ist meines Erachtens Marketing-Geklimper. Nein, ich meine das möglichst einheitliche und breite Einführen eines Mechanismus, um klima-schädliches Verhalten zu vermeiden. Hoher Energieverbrauch, Fleischkonsum und so weiter müsste signifikant teurer werden, um die globale Lenkungsfunktion bei der Preisfindung von Waren und Dienstleistungen zu nutzen. Sicher müssen Ausgleichsmechanismen her, zum Beispiel um Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, in anderer Form zu entlasten. In Städten aber wäre für viele wohl weniger Autoverkehr inzwischen keine Einschränkung, sondern ein Fortschritt.
Um abschließend zu den Markenverantwortlichen zurückzukommen: In unserem Verständnis ist der/die CEO der/die Markenverantwortliche. Hier besteht die Aufgabe, das Unternehmen strategisch so auszurichten, dass Produkte und Dienstleistungen so hergestellt werden können, dass für Herstellung und Nutzung möglichst wenig CO2 entstehen würde, um auf diesem Weg die klima-orientierte Verteuerung zu kompensieren. Nicht nur die Digitalisierung ändert Geschäftsmodelle grundlegend oder ersetzt alte durch neue – auch der Klimawandel hat das Zeug dazu, ganze Industrien grundlegend umzuwälzen. Es reicht nicht nur einen gesellschaftlich passenden Purpose oder entsprechende Werte zu definieren, sie zu kommunizieren und im Wesentlichen so weiter zu machen wie bisher. Das Thema Nachhaltigkeit, besser nachhaltiges Wirtschaften muss von der PR-Abteilung in die Zuständigkeit von Corporate Strategy wandern. Beispiele wie die Rügenwalder Mühle, die vermehrt fleischlose Produkte vermarktet, machen dies exemplarisch vor. Da gilt Erich Kästners Wort: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!«
In diesem Sinne ist es meines Erachtens eine bemerkenswerte Entscheidung von Volvo, die Höchstgeschwindigkeit seiner Fahrzeuge freiwillig auf 180 km/h zu begrenzen. Denn wenn es die »Vision 2020« von Volvo ist, dass bis zum Jahr 2020 kein Insasse mehr in einem Volvo tödlich oder schwer verunglücken soll, dann ist diese freiwillige Selbstbeschränkung ein glaubhafter Beleg für den guten Vorsatz. Und weniger schnell zu fahren ist bekanntlich nicht nur sicherer, sondern spart eben auch Kraftstoff. Das ist nicht nur umweltfreundlich, sondern im besten Sinne »weltfreundlich«.
Wagen wir jedoch auch diesen Gedanken noch einen Schritt weiter zu denken: Im Sinne von Alfred Herrhausen, dem ehemaligen Chef und Vordenker der Deutsche Bank »wird es immer teuer, wenn man die Dinge nicht zu Ende denkt«. In Sachen Mobilität und Automobilhersteller würde die Frage also nicht »Doing things differently«, sondern »Doing different things« lauten: Keine Mobilität mit anderen Autos, sondern eine andere Art von Mobilität. Das ist die wirkliche Herausforderung von CEOs und Markenverantwortlichen!
Autor: Christopher Wünsche
Erschienen bei horizont.net, Freitag, 14.06.2019
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